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Genossenschaften 4.0: Potenziale für Plattformgenossenschaften

Genossenschaften 4.0 Digitalisierung Plattformgenossenschaften
Cristine Lietz / pixelio.de

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Baden-Württemberg ist eine der innovativsten Regionen Europas und weltweit. Dieses innovationsfreudige Klima gilt es auch für die Zukunft zu sichern, insbesondere für die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen, die Basis und Motor der baden-württembergischen Wirtschaft sind. Angesichts des rasanten digitalen Transformationsprozesses ist es umso wichtiger, innovative Ideen und Geschäftsmodelle zu entwickeln, um langfristig konkurrenzfähig zu bleiben. Die Digitalisierung ist dabei Herausforderung und Chance zugleich. Zum einen wächst der Wettbewerbsdruck, weil neue Konkurrenten in den Markt eintreten und gewohnte Geschäftsmodelle in Frage stellen. Zum anderen ergeben sich zahlreiche neue Möglichkeiten etwa zur Optimierung von internen Prozessen durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz.

Das gilt für Unternehmen jeder Größe und Branche gleichermaßen. Sie betrifft alle Branchen von Industrie über Informations- und Telekommunikationstechnik, Handel, Handwerk, Dienstleistung, Versicherungen und Banken bis zur Landwirtschaft. Außerdem ist es notwendig, eine hohe Akzeptanz für Veränderungen bei allen beteiligten Stakeholdern zu schaffen: Unternehmensleitung, Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und Öffentlichkeit müssen gleichermaßen die Digitalisierung mittragen und die damit verbundenen Herausforderungen begrenzen sowie vor allem die Chancen erkennen und nutzen lernen.

Genossenschaftliche Kooperation und Wettbewerbsfähigkeit

Für Genossenschaften bietet die Digitalisierung große Potenziale. Denn im heutigen globalisierten und liberalisierten Wirtschaftsumfeld müssen viele kleine und mittlere Unternehmen Kooperationen eingehen, um langfristig konkurrenzfähig zu bleiben. Die Wirtschaft wird dezentraler, projektorientierter und flexibler. Unternehmen bleiben dabei kleiner strukturiert und bilden nur einen Teil der Wettbewerbskette ab. Für diese Art der Kooperation bietet die Rechts- und Unternehmensform der eingetragenen Genossenschaften (eG) die Möglichkeiten der zielgerichteten und verbindlichen Zusammenarbeit ohne die rechtliche Selbstständigkeit aufzugeben.

Die Genossenschaft ist ein etabliertes Organisationsprinzip, das zugleich Innovation und Sicherheit bietet. Darüber hinaus weist sie Vorteile auf, die sowohl zur Lösung wirtschaftlicher wie auch ökonomischer und sozialer Herausforderungen beitragen kann. So sind sie verpflichtet, die Interessen ihrer Mitglieder zu fördern. Mitglieder einer Genossenschaft können sowohl natürliche als auch juristische Personen sein. „Hilfe zur Selbsthilfe“ steht dabei im Vordergrund. Die Genossenschaft ist aufgrund der internen Kontrollmechanismen und der unabhängigen, verbandlichen Prüfung die mit weitem Abstand insolvenzsicherste Rechtsform in Deutschland.

Die Kooperation im Rahmen einer Genossenschaft bietet besonders in drei Bereichen Vorteile:

  1. Open Innovation/Co-Creation: Organisation von Innovationen in der Rechts- und Unternehmensform der eingetragenen Genossenschaft. Besonders relevant in den Bereichen IT und Forschung & Entwicklung und im Bereich der Künstlichen Intelligenz (Beispiel: OSADL eG).
  2. Share-Economy: Bei der sogenannten Share-Economy werden Ressourcen – von Autos und Fahrrädern über 3D-Drucker bis zu Büroräumen oder gemeinsamen Lieferdiensten von Händlern – geteilt. Diese können in Genossenschaften kooperativ geteilt werden. Durch die Digitalisierung gewinnen diese Share-Economy Dienste immer mehr an Bedeutung (Beispiele: teilAuto Neckar-Alb eG, Bikeage eG).
  3. Plattformökonomie: Plattformen bieten Produkte und Dienstleistungen meist nicht selbst an, sondern vermitteln zwischen Händlern und Konsumenten oder Herstellern und Kunden. Genossenschaften bieten das Potenzial, solche Plattformen unter Eigenregie der Mitglieder zu bilden.

Geschäftsmodell der Plattformökonomie

OSADL eG
Die Organisation über Genossenschaften bietet die Möglichkeit des Co-Design der Plattform durch die Mitglieder, sodass die Software genau auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist. Der Open-Source-Ansatz stellt sicher, dass Weiterentwicklungen nicht jedes Mal neu zu generieren sind – so wie beim BWGV-Mitglied Open Source Automation Development Lab (OSADL) eG.

Plattformen sind das zentrale Geschäftsmodell der digitalen Ökonomie. Sieben der zehn wertvollsten Unternehmen sind inzwischen der Plattformökonomie zuzurechnen, darunter Google, Facebook, Amazon oder Alibaba. Sie folgen dabei einem ökonomischen Verständnis der Plattformen als Intermediäre, als Vermittler zwischen Anbieter und Nachfrager. Nicht mehr Besitz und Management von Produktionsfaktoren sind die entscheidenden Erfolgskriterien, sondern das bestmögliche Management der Interaktionen und Transaktionen zwischen verschiedenen Nutzergruppen. Das Spektrum der Plattformen reicht dabei von klassischen Produkt-Marktplätzen wie Ebay bis zu hoch spezialistierten Industrieplattformen, beispielsweise im Bereich Maschinenbau, Automobil, Logistik, Elektrotechnik oder Chemie1. Im Grunde genommen erfinden diese Plattformen das Rad nicht neu, sie verallgemeinern lediglich bereits bestehende Marktprinzipen. Uber, das weltgrößte Taxi-Unternehmen, besitzt keine Autos. Alibaba, der wertvollste Händler, unterhält kein Lager. Facebook, die wichtigste Medienseite, erzeugt keine Inhalte. Und Airbnb, dem größten Zimmeranbieter der Welt, gehören keine Wohnungen.

Die Plattformökonomie hat damit tiefgreifende Auswirkungen auf die globale Arbeitsteilung, den Wettbewerb und die Gesellschaft. Davon profitieren besonders global agierende Großunternehmen, da sie aufbauend auf ihrem bereits gesammelten Datenschatz neue, digitale Geschäftsmodelle entwickelt haben und daraus nachhaltige Wettbewerbsvorteile generieren. Als Intermediäre schieben Sie sich zwischen etablierte Anbieter und Nutzerbeziehungen und greifen dort einen großen Teil der Wertschöpfung ab. Die meisten kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) haben sich dagegen auf die Digitalisierung interner Prozesse konzentriert2.

Aufbau von Plattformgenossenschaften

teilAuto eG
Die Kooperation im Rahmen einer Genossenschaft bietet Vorteile: Bei der sogenannten Share-Economy werden Ressourcen geteilt, beispielsweise Autos – so wie beim BWGV-Mitglied teilAuto Neckar-Alb eG.

Plattformgenossenschaften könnten genau das Experimentierfeld sein, um zu zeigen, wie ökonomische Produktion, menschliche Beziehungen und soziale Eingebundenheit in der Digitalwirtschaft gemeinsam funktionieren. So bieten zum Beispiel Kooperationen im Handel und bei Banken die Möglichkeit, sich im Wettbewerb mit disruptiven Ansätzen des Online-Handels beziehungsweise von FinTechs zu bestehen. Wichtig ist dabei, dass auch der Umgang und Austausch von Daten innerhalb einer integrierten Organisation möglich ist. Plattformgenossenschaften verbinden dabei vier Grundprinzipien des Digitalen und der Genossenschaftsidee miteinander:

  1. Plattformgenossenschaften bieten Personen und Unternehmen den Vorteil der kollektiven Eigentümerschaft. Das heißt die Daten, Algorithmen und die Technologie der Plattform gehören den Genossenschaftsmitgliedern.
  2. Damit können sie deren Anwendung und Verbreitung nach den demokratischen Grundsätzen von Genossenschaften selbst steuern und kontrollieren.
  3. Die Organisation über Genossenschaften bietet dabei die Möglichkeit des Co-Design der Plattform durch die Mitglieder, sodass die Software genau auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist.
  4. Der Open-Source-Ansatz stellt zudem sicher, dass Weiterentwicklungen nicht jedes Mal neu zu generieren sind3.

Der Aufbau digitaler Plattformen ist dabei vor allem in der Gründungs- und Wachstumsphase kapitalintensiv, sichert aber nachhaltig unsere kleinteilige und innovative Wirtschaftsstruktur. Dafür braucht es eine entsprechende Beteiligung der Mitglieder und Förderinstrumente, die explizit auf genossenschaftliche Plattformen sowie partiell auch auf gemeinwohlorientierte Ansätze zugeschnitten sind. Darüber hinaus ist eine enge Zusammenarbeit von politischen, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren nötig, um genossenschaftliche Plattformen als echte Alternative gegenüber den auf Shareholder Value fokussierten Geschäftsmodellen von etablierten Plattformen wie Facebook, Amazon oder Airbnb zu etablieren4.

Beispiele und Ideen für Plattformgenossenschaften

Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass Plattformen in Form von Genossenschaften funktionieren können, zum Beispiel Coopify, eine Genossenschaft für häusliche Dienstleistung in New York, die über eine App beispielsweise Putzdienste vermittelt und dabei den Arbeitenden selbst gehört, oder die Fotoplattform Stocksy, die sich in Besitz der Fotografen befindet. Die Beispiele zeigen, dass Plattformgenossenschaften vor allem dort Erfolg haben, wo sie lokal verankert sind oder ein sehr spezielles Feld bedienen.

Der BWGV verfolgt aktuell drei unterschiedliche Ansätze, um die Gründung von Plattformgenossenschaften zu unterstützen:

1. Lokale Handels- und Dienstleistungsplattformen (interoperabel und interkonnektiv)

Durch die Vernetzung der lokalen Akteure (online und offline) können genossenschaftlich organisierte Plattformen Handels-, Dienstleistungs- und Behördenangebote bündeln und damit die Wirtschaft vor Ort und insbesondere die Nahversorgung im ländlichen Raum stärken. Solche Online-Portale stellen einen Marktplatz für lokale Geschäfte und regionale Produkte und Dienstleistungen zur Verfügung und eröffnen gleichzeitig die Möglichkeit, Kunden umfassend zu informieren und ihnen dieselben Annehmlichkeiten zu bieten wie große Plattform-Unternehmen. Gleichzeitig bleibt aber die Wertschöpfung vor Ort. Idealerweise könnten damit auch die Verwaltung, Vereine etc. verknüpft sein sowie die Plattform anschlussfähig an andere Regionen respektive Ebenen sein, damit neben den lokalen und regionalen Initiativen gegebenenfalls eine große Plattform daraus erwächst.

Über die Einbindung der Genossenschaftlichen FinanzGruppe können dabei sowohl technisches Know-how zum Aufbau von Plattformen eingebracht als auch Möglichkeiten für die sichere Zahlungsabwicklung angeboten werden.

2. Industrie- und Wirtschaftsplattformen

Neben den skizzierten Marktplatz- beziehungsweise Vermittlungsplattformen bergen Plattformen auch im B2B-Segment ein disruptives Potenzial. Plattformbasierte Applikationen (zum Beispiel Internet der Dinge, Cloud-Lösungen und Predictive Maintenance) werden auch im industriellen Umfeld zum entscheidenden Differenzierungsfaktor. Das stellt die Unternehmen – insbesondere kleine und mittelständische – vor große Herausforderungen. Denn gerade KMU können es meist aus Zeit-, Kompetenz- und Ressourcengründen nicht leisten, in Eigenregie sämtliche erforderlichen Aktivitäten und Kompetenzen für die angestrebte Positionierung im Plattform-Ökosystem aufzubauen und durchzuführen5. Kooperationen in Form einer Genossenschaft bieten genau das Potenzial, Einstiegshürden für KMU zu senken und den Aufbau einer Plattform gemeinschaftlich voranzutreiben ohne dabei die eigene Selbstständigkeit aufzugeben. Mithilfe genossenschaftlicher Kooperationen kann ein „Vertrauensraum“ geschaffen werden, in dem die verschiedenen Akteure entlang der Wertschöpfungskette partnerschaftlich zusammenarbeiten können.

Mit der Digitalisierung wird die Frage nach Zugang und Nutzung von Daten immer wichtiger. Heute beginnt der Service meist schon in der Cloud, wenn etwa Smart-Home-Produkte oder Automobile ihre Nutzungs- und Wartungsinformationen automatisiert erheben. Solche Daten sollten bestenfalls allen Beteiligten der Wertschöpfungskette (Hersteller, Service-Anbieter, Kunden) zur Verfügung gestellt werden. Auch hier können genossenschaftliche Daten-Plattformen entstehen, die den Zugang und die Nutzung von Daten selbstbestimmt organisieren und regeln können.

3. Spezifische (Branchen-)Plattformen

Genossenschaftliche Plattformen haben beispielsweise im Handwerk großes Potenzial. Denn das Handwerk hat in Zeiten von digitalen Geschäftsmodellen und Plattformen einen entscheidenden Vorteil: anders als zum Beispiel die großen Digitalkonzerne, die führend im Bereich der Plattformtechnologie sind, verfügt das Handwerk über ein tiefgreifendes Prozess-Know-how. Dieses Potenzial gilt es zu heben, was aber nur im erweiterten Verbund, durch Kooperation und Kompetenzbündelung, gelingen kann.

Auch im Bereich der Pflege ist eine genossenschaftliche Plattformlösung denkbar, die alle baden-württembergischen Pflegedienstleister vernetzt und deren Angebot bündelt, um von den Plattform-Dienstleistungen zu profitieren und dem Kunden einfach und schnell gefragte Versorgungsoptionen aufzuzeigen.

Ausblick

Die Digitalisierung bietet nicht nur Herausforderungen, sondern auch zahlreiche Chancen für die Wirtschaft. Um die Chancen zu nutzen, ist die Kooperation innerhalb und über Branchen hinweg essenziell. Die Rechts- und Unternehmensform der eingetragenen Genossenschaft bietet hierzu die Möglichkeit. Dies gilt insbesondere im Bereich der Plattformökonomie. Plattformgenossenschaften können demnach das erfolgreiche Geschäftsmodell als Intermediär nutzen, und gleichzeitig die Mitbestimmung und Selbständigkeit der beteiligten Mitglieder sichern. Dieses Potenzial sollte genutzt werden, um gerade kleine und mittelständische Unternehmen in einer globalen Wirtschaft wettbewerbsfähig zu machen. Getreu dem berühmten Zitat von Friedrich Wilhelm Raiffeisen „Was den Einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele“.

1 Vgl. Dr. Holger Schmidt: „Das Internet der Plattformen“, April 2015, URL: https://www.netzoekonom.de/2015/04/30/das-internet-der-plattformen/ (zuletzt abgerufen am 7.1.2020).

2Vgl. Hamidreza Hosseini und Dr. Holger Schmidt: „Amerikanische und chinesische Plattformen ziehen europäischen Anbietern weiter davon“, Juni 2018, URL: https://www.platformeconomy.com/blog/wert-der-plattform-okonomie-steigt-im-ersten-halbjahr-um-1-billion (zuletzt abgerufen am 7.1.2020).

3Vgl. Trebor Scholz: „Von der Sharing Economy zum Plattform-Kooperativismus“, August 2018, URL: https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Sonstiges/SPDerneuern/Impuls_Scholz_Trebor.pdf (zuletzt abgerufen am 7.1.2020)

4Vgl. Ela Kagel, Markus Sauerhammer und Jonas Pentzien: „Politische Rahmenbedingungen schaffen. Eine gemeinwohl-orientierte Plattformökonomie aufbauen – aber wie?“, Ökologisches Wirtschaften 4.2018 (33), S. 22.

5Vgl. Hartmut Rauen et al. (VDMA): „Plattformökonomie im Maschinenbau. Herausforderungen – Chancen – Handlungsoptionen“, April 2018,  URL: https://www.vdma.org/documents/15012668/26471342/RB_PUB_18_009_VDMA_Plattform%C3%B6konomie-06_1530513808561.pdf/f4412be3-e5ba-e549-7251-43ee17ec29d3 (zuletzt abgerufen am 7.1.2020).

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